Resi und ich sind uns einig: Kiruna ist irgendwie cool! Hier kommt ein Feeling hoch, das ich bis dato noch in keiner Stadt dieser Welt erlebt habe. Außerdem ist die Geschichte der nördlichsten Stadt Schwedens (ca. 200 km über dem Polarkreis) doch recht ungewöhnlich. Erst kürzlich habe ich online gelesen, dass es hier nichts gibt außer Berge (eher Hügel – schließlich sind wir in Lappland), Schnee und Kälte. Achja, und nicht zu vergessen: Eine Erzmine. Die weltgrößte Erzmine nämlich! Wegen ihr ist Kiruna überhaupt erst entstanden. Unter der nordschwedischen Erde schlummern – neben dem Eisenerz – aber noch andere wertvolle Schätze: Hier befindet sich – und das weiß man erst seit Kurzem – Europas bis dato größtes Vorkommen an Seltenen Erden. Bämm! Das ist ja unvorstellbar! Da kommt Freude auf! Oder?
Kirunas “flygplats” ist übrigens ein putziger, kleiner Flughafen irgendwo in der lappländischen Tundra. Der Anflug auf die Stadt war spektakulär!
Kiruna ist eine Bergbaustadt. Und genau das ist Segen und Fluch zugleich: Seit mehr als 120 Jahren wird hier Erz abgebaut, was zum einen für wirtschaftlichen Erfolg und Prosperität sorgt, zum anderen aber für die Einwohner:innen von Tag zu Tag gefährlicher wird.
Genau das bringt mich zurück zum Stichwort “Bämm”: In Kiruna wackelt jede Nacht gegen 2:00 bzw. 3:00 Uhr früh die Erde. Wir werden jede Nacht, die wir in Kiruna verbringen, unschön davon geweckt, uns bleibt das Herz stehen. Was ist denn hier los? Ist das ein Erdbeben? So ähnlich. Es handelt sich dabei um das nächtliche “Schießen”, um die Sprengungen aka Explosionen unter Tage. Was für die “Kirunabos”, die Bewohner:innen Kirunas, ganz normal ist und tatsächlich von diesen als “Herzschlag der Stadt” bezeichnet wird, löst bei Resi und mir Unbehagen aus. Durch den Abbau/die nächtlichen Sprengungen unter Tage droht die Stadt nämlich zu versinken bzw. einzustürzen. Was also tun?
Einfach verschieben! Bis 2040 soll die gesamte Stadt 5 Kilometer weiter in den Osten übersiedeln, d.h. ganze Wohnhäuser, Wohnhausanlagen, Geschäfte, Einrichtungen aller Art werden – wenn möglich – an den neuen Standort mitgenommen. Keine einfache Sache. Jede/r kann sich vorstellen, dass hier viel Planung notwendig ist, schließlich geht es um die gesamte Infrastruktur. Stadt-Transformation deluxe also: “Vom Umzug betroffen sind 6000 Menschen, 3200 Wohnungen, 750 Hotelbetten, in der alten Innenstadt das Einkaufszentrum, das Rathaus, Hauptschule, Grundschule, Krankenhaus, Bibliothek, Kirche und Bäder. Die neue Stadt ist komplett bis zum letzten Papierkorb durchgeplant, Schneefall, vorherrschende Windrichtung, alles wurde bedacht”, weiß mein Reiseführer.
Kiruna will die Stadt der Zukunft werden, eine Vorzeigestadt in Sachen Klimaneutralität – und ist am besten Weg dahin. Fun Fact am Rande: Wegen der Umbauarbeiten “veralten” Adressen in Kiruna relativ schnell. Wir hatten Schwierigkeiten den richtigen Bahnhof zu finden, um von dort weiter nach Abisko zu kommen.
Neu-Kiruna / Nya Kiruna
Der Glocken- bzw. Uhrturm wurde bereits 2017 nach “Nya Kiruna” übersiedelt und steht nun im neuen Zentrum auf einem meterhohen Sockel.
Alt-Kiruna
Kiruna, oder sagen wir der alte Teil von Kiruna, ist nicht besonders ansehnlich. Gerade im Winter – wenn der alte, verschmutzte Schnee an den Straßenrändern nicht geräumt ist, sondern sich in unzähligen Schneehaufen vor einem auftürmt – wirkt sie düster. Eine Geisterstadt, die aber trotzdem etwas sehr Charmantes hat, etwas Mystisches. Seitdem wir hier sind, fühlen wir uns wie in einer anderen Welt. Aber immerhin in einer Welt, in der es noch Schnee gibt. Und den gibt es in Massen!
Innerhalb der Stadt bzw. zwischen den Stadtteilen bewegen wir uns mit den Buslinien Gul, Grön, Röd, Lila und Blä fort. Glücklicherweise sind diese leicht an den Farben zu erkennen. 😉
Beeindruckend ist die Kirche aus Holz (Kiruna Kyrka), die auch das Wahrzeichen der Stadt ist. Auf ihr stehen 10 vergoldete Holzfiguren, die alle eine andere Gemütsregung zeigen. Auch die Kirche wird nach Neu-Kiruna umziehen – bis 2024 soll das geschafft sein.
Und wer soll/wird das bezahlen? Der Minenbetreiber LKAB! Er macht mächtig Wind um die Stadt der Zukunft (vor der Stadt entsteht auch einer der größten Windparks Europas) und wir bekommen einen Eindruck, wie “Nya Kiruna” bald aussehen wird. LKAB trägt die kompletten Kosten der Stadtübersiedlung, ist er es doch, der für all das verantwortlich ist. Im Scherz bezeichnen Resi und ich das Unternehmen als “die schwedische Novomatic”, die zahlt ja bekanntlich auch alles. Wir rätseln oft und lang über diese Firma, die den Großteil der Bevölkerung beschäftigt und diese angeblich – so liest man – auch mit sehr guten Löhnen versorgt. Ich finde, sie sollte den Eintritt zum Minenbesuch auch gleich mitfinanzieren. 450 Schwedische Kronen (SEK) sind nämlich gar nicht so billig (knapp 40 Euro). Dort hin kommen wir aber gar nicht.
Leider ist es uns nicht gelungen, an einer Minen-Tour teilzunehmen. Tatsächlich gibt es im Bergwerk (knapp 600 Meter unter Tage) ein Besucherzentrum, wo LKAB-Guides Führungen anbieten. Schade! Das hätten wir sehr spannend gefunden, aber die limitierten Plätze waren immer wahnsinnig schnell ausgebucht. Wir wollen aber unbedingt wieder nach Kiruna, das haben wir uns vorgenommen! Wir wollen sehen, wie sich diese Stadt entwickelt, wo die Reise hingeht und wie sie nach dem Umzug aussehen wird. Außerdem haben wir hier unsere erste Aurora gesehen! Und die war einfach magisch! ✨
Am besten: Hinfahren!
📹 Watch out auf Tik Tok: Es geht in die nördlichste Stadt Schwedens ✈️🇸🇪
Auf derklimablog.de habe ich übrigens auch einen spannenden Beitrag über die Minenstadt gefunden: All eyes on: Kiruna!